ЦЕНТЪР ЗА НЕМСКИ ИДЕАЛИЗЪМ
Югозападен университет "Неофит Рилски" - гр. Благоевград
ФИЛОСОФСКИ ФАКУЛТЕТ
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Der Geist als Ontologem der Epoche der Aufklärung (de)

 Prof. Dr. Dr.sc. Valentin Kanawrow

 

DER GEIST ALS ONTOLOGEM DER EPOCHE DER AUFKLÄRUNG

 

Wenn ich über den Geist, aber konkret in Bezug auf die Philosophie Hegels spreche, tue ich es mit einer gewissen theoretischen Bangigkeit. Weil ich mich danach frage, ob ich ein konservativer oder nichtkonservativer Nachfolger Hegels bin, ob ich irgendwie zum Geiste des Philosophierens Hegels, zum Sinne und zur Tradition seiner Philosophie gehöre; ob ich kohärent mitdenke und mitspreche; oder bin ich ein Kritiker, aber nicht im Sinne Kants, d.h. nicht auf der Ebene der rationalen Immanenz, sondern als ein immer gute und entscheidende Argumente habender Kritikaster, der keinesfalls auf dem Niveau Hegels steht, aber doch ein Wörtchen stets mitzureden hat; oder halte ich einfach eine Laudatio. Dieses Fragen kann auch so formuliert werden: wie darf ich über den Geist in Bezug auf die Philosophie Hegels sprechen, so dass dieses Sprechen mein eigenes reales Sprechen, aber doch ein relevantes philosophisches und ein der Philosophie Hegels adäquates Sprechen ist?

Es gibt mehrere mögliche theoretische Varianten den Geist der Philosophie Hegels, den Geist als ihr Grund- und Hauptelement und den Geist der hegelschen Epoche der Aufklärung rein philosophisch auszudiskutieren - abhängig davon, wie und was zu forschen ist. Eine angemessene Vorgehensweise für diese Untersuchung ist meiner Meinung nach das philosophisch internalistische Herangehen. Es bedeutet Folgendes: der Linie der innerlichen Entwicklung der europäischen Philosophie als einer Logosphilosophie streng und unabweichend zu folgen; und auf diese Weise den Geist als ein ontologisches Grundexplikat der Vernunft, d.h. der tätigen Form des reinen Denkens zu konzeptualisieren. So, wie es Hegel getan hat, so, wie Hegel seine Philosophie selber verstanden und getrieben hat: "[…] es ist kein Satz des Heraklit, den ich nicht in meine Logik aufgenommen [habe]."[1] So Hegel in der Geschichte der Philosophie. Und in der Enzyklopädie steht: "Das Absolute ist der Geist; dies ist die höchste Definition des Absoluten. Diese Definition zu finden und ihren Sinn und Inhalt zu begreifen, dies, - kann man sagen - war die absolute Tendenz aller Bildung und Philosophie. […] Der Begriff des Geistes hat seine Realität im Geist. Daß diese in der Identität mit jenem als das Wissen der absoluten Idee sey, hierhin ist die notwendige Seite, daß die an sich freie Intelligenz in ihrer Wirklichkeit zu ihrem Begriffe befreit sey, um die dessen würdige Gestalt zu seyn."[2]

Warum nun eine (oder, stärker gefasst, die!) Logosphilosophie? Weil die europäische Philosophie sich von ihrem Anfang an nicht bloß im Bereich der Weisheit, der Erkenntnis und des Denkens entwickelt, sondern im Bereich des reinen und konstitutiven Denkens. Was bedeutet der Logos als ein reines und konstitutives Denken? Es bedeutet ein allgemeines ontologisierendes Denken, also ein Denken, das die systematische Gestalt des Seins (des Makrokosmos) und der menschlichen Existenz (des Mikrokosmos) aus der Position der apriorisierten und metaphysierten Erkenntnis aufbaut. Und genau der Geist als ein Ontologem, d.h. als eine rational betrachtete Seinsquintessenz des intellektuellen und geschichtlichen Ganzen, krönt im Bereich des Seins die Entfaltung der europäischen Logosphilosophie. Der Geist ist die bloße Seinsmonade, das reine Subjekt und das aktuelle Ganze der durch die reine und tätige Vernunft systematisch verstandenen bzw. konstruierten Welt.

Diese philosophische Betrachtungsweise ist heute nicht so sehr anerkannt. Die heutige Philosophie verzichtet nicht nur auf die Metaphysik, die Apriorität und die Systematik, sondern auch auf die Erkenntnis. Ja mehr noch: heute verzichtet man auf die metaphysische und metaphysierte Erkenntnis, auf die Erkenntnis als das die Philosophie prinzipierende Element, auf die Erkenntnis als ein erstrangiger philosophischer Problemkreis, auf die Erkenntnis als das eigentlich einzige philosophische Instrument. Leider steht es in der heutigen Philosophie auch mit der systematischen Erkenntnis nicht zum Besten, obwohl alle Religionen, die Politik, die Ideologie, die Wirtschaft unser ganzes Leben zu ordnen, normieren und systematisieren versuchen. Es ist seltsam, dass - nachdem man heute in allen Bereichen: in der Weltwirtschaft, Weltpolitik, Weltökologie, Weltreligionen u.s.w. nach einer lebendigen, kohärenten und effektiven Systematik strebt, - die Philosophie die systematische, reflexive und schaffende Erkenntnis und das systematisch ontologisierende Denken, also das, was sie in der tausendjährig langen intellektuellen Geschichte Europas selber generiert hat und was sie selber ist, verleugnet.

Dieser Situation zufolge gibt es letzten Endes keine spezifische, selbständige und ausreichende philosophische Erkenntnis und also keine Philosophie. Jede Äußerung, jede Überlegung, jede Erörterung, jede Abhandlung, jede Argumentation, jeder Diskurs nennt man Philosophie, ist Philosophie. So verliert sie ihr eigenes konzeptuelles Gesicht. Das ist aber nicht die Weltweisheit, die die alten Griechen gegründet und uns vererbt haben. Das ist keinesfalls eine notwendige und folgerechte Stufe der Entwicklung der europäischen Rationalität.

 

1. Die philosophische Geburt des Geistes

Thales macht den Anfang, legt das gründende Prinzip an; Heraklit formuliert den Logos als reines konstitutives Denken; Platon expliziert die Transzendenz des Ideellen als Anfang und Vorbild. Der Logos entsteht als eine rationale Erkenntnisform contrainduktiv und -deduktiv: alsoex nihilo. Das ist der Urknall der metaphysischen Intuition, die das apriorische Denken fordert. Die Geburt des Logos ist ein Akt der metaphysischen Intuition, ein Ausbruch der selbständigen philosophischen Erkenntnis und kein Akt des Bewusstseins, weil das Bewusstsein immer gegenständlich gebunden ist. Der Logos ist keineswegs dieses oder jenes Erkenntnisvermögen, keine Naturgegebenheit des Menschen, keine anthropologische Eigenschaft, keine psychische Realität, kein psychophysisches Element. Er ist die blosse Erkenntnisform, die gegenstands- und weltlos aber nur in Bezug auf die Welt nach sich selbst fragt, und eben damit in ihrer effektiven Tätigkeit den systematischen Sinn dieser Welt als Ontologie philosophisch herausarbeitet. Der Logos ist der philosophische Grund des Seins; eidos kai logos - sagt Aristoteles. Nachdem der Logos schon "da" ist, wird alles anders. Es verändern sich das Sein, die menschliche Existenz, der Grund, die Gegebenheit, die Lust, die Feiern, der Gram, die Liebe, die Politik, das ganze Leben, weil er all das aus sich selbst nicht nur modifiziert und transformiert, sondern aufbaut. Das Denken des Seins als eine Weltschöpfung heisst Onto-logie. Durch den Logos entstehen die Wahrheit, die Freiheit und die Tätigkeit, die seitdem die wichtigsten Werte des Europäers sind.

Die eigentliche Philosophie als systematisch ontologisierendes Denken beginnt aber erst mit Aristoteles, der ihre Form des tätigen Denkens und der aufbauenden Erkenntnis im Rahmen des so genannten Hylemorphismus entdeckt. Wichtige Schritte auf dem Wege der Explikation des reinen Denkens und der ontologischen Verwirklichung seiner Seinskraft machen viele andere weise Männer und Frauen. Trotzdem kann die europäische Philosophie in ihren ersten "1000 Jahren" keine monistische Ontologie herausarbeiten. Die antike Philosophie strebt mit ganzer Kraft danach, geht aber nicht soweit. Die ganze Antike ist - philosophisch gesehen - seinspluralistisch. Sie ist eine Welt der vielen Seelen. Platon kommt zur Idee der Weltseele, entwickelt aber daraus keine Seinsgenealogie. Waren damals die Mythen noch zu stark, war der Logos noch zu schwach, gab es auch weitere Außen- und Innenfaktoren, die den Schritt zum Seinsmonismus hinderten? All das zu klären ist eine große und schwierige Aufgabe. Kurz gefasst: die Antike war nicht soweit, die Idee des Seinsmonismus klar und kräftig genug herauszuarbeiten und auszubauen. Sie war, ontologisch betrachtet, eine Welt der mehreren lebendigen und unsterblichen Seelen.

Der Übergang vom Seinspluralismus zum Seinsmonismus wird in den nächsten "1000 Jahren" geschaffen und ausgebaut als Gott (obwohl in Dreieinigkeit) die eigentliche, die erste, die wahre, die selbstgenügende Welt ausprägt. Unbedingt muss man hierbei den Namen des Philosophen und Märtyrers Justinus erwähnen. Er ist der erste, der schon im 2. Jahrhundert Jesus Logos-Christos und Theos-Logos nennt. Etwas früher, kurz nach der Zeitrechnungswende, transformiert Philon von Alexandrien (Philon der Jude) die Reinheit des abstrakten und formalisierten Logos in eine Reinheit des lebendigen Gottes. Der Logos befreit sich von allen mythischen Elementen. Aber seine Erkenntnisentwicklung ist nicht mehr in der Richtung der spezifisch philosophischen Erkenntnismetaphysik, der reinen Philosophie, sondern in der Richtung des dogmatischen Postulats. Er ist wieder ordos logos, aber nicht als eine bloße apriorische Form des Denkens, sondern als eine seiende Intelligenz. Hegel beschreibt das Niveau der Logosphilosophie bei Philon so: "Überhaupt ist diese Philosophie weniger Metaphysik des Begriffes oder Denkens selbst, als daß der Geist nur im reinen Denken erscheint, nicht hier in der Weise der Vorstellung ist, und die Begriffe, Ideen als selbstständige Gestalten vorgestellt find."[3]

Die eigentliche Christianisierung des Logos prägt sich aber sowohl als eine ausdrückliche und deutliche Ablehnung der Philosophie, als auch als eine definitive dogmatische Ureinheit der Erkenntnis und des Seins im Gott aus: "Im Anfang war das Wort, und das Wort war bei Gott, und Gott war das Wort. Dieses war im Anfang bei Gott. Alles ist durch Ihn entstanden, und ohne Ihn entstanden ist nichts von dem, was besteht." Und zwar das Wort aber in einer christlich-dogmatischen Auslegung ist die neue metaphysische Form des Logos, des allgemeinen Denkens. Diese wortgebundene Seinseinigkeit kann man im Sinne der Ontologemität als Intelligenz definieren: "Ich bin der Weg, und die Wahrheit, und das Leben."

Die Theoretisierung der Intelligenz als ein monistisches Ontologem der mittelalterlichen Geistigkeit darf man nicht als einen Reduktionsversuch gegenüber der Trinität betrachten. Die Intelligenz braucht man nicht bis zu einer einzigen Gotteshypostase komprimieren. Nein, ihre Ontologisierung ist ein philosophisches Resultat der Exteriorisierung ihres einheitlichen Wesens im Rahmen der einzigen göttlichen Realität. Die Intelligenz ist ein Sein mit geistigen Ausmaßen, das die Typik des trinitären Auftritts der Gottheit trägt.

In der Antike ist die Seele nur ein Teil der geistigen Welt, im Mittelalter ist die geistige Welt ein Teil der Intelligenz. In der Antike ist die Seele mit dem Somatischen dicht verflochten, im Mittelalter kommt die Intelligenz nicht aus dieser Welt heraus, schöpft sie aber ex nihilo, eigentlich aus sich selbst, obwohl sie nicht das Nichts, sondern das Ganze ausprägt. Die Seele strebt nach dem Wissen, die Intelligenz ist das absolute Wissen an sich[4].

Das ontologeme Durchsetzen der Intelligenz, hauptsächlich von der Richtung des Gottesseins her, eröffnet die breitest möglichste Perspektive vor der Erkenntnis, aber mystifiziert zugleich das Wort selbst. Darin steckt das größte Wissensparadox der mittelalterlichen Philosophie. Sie thematisiert, diskutiert und theoretisiert die höchste Stufe der Erkenntnis - die Gotteserkenntnis - aber nur mit Furcht und Zittern, nur als eine Auslegung, Projektion oder Bestrebung. Die Illumination und die Vereinigung mit dem göttlichen Intellekt sind keine Wortaktualisation, kein Wortprodukt, kein theoretisches Resultat, keine wiederholbare individuelle Erkenntnisprozedur, keine Methode. Die Gotteserkenntnis metaphysiert sich in einer transzendenten Form, die als solche das erkenntnisgebundene Wesen des Wortes eher versteckt als eröffnet. Der Himmel ist voll mit Heiligen, Engeln und Märtyrern, die aber die Erkenntnispotenzen der Gottheit nicht erhellen, sondern nur die Glaubens- und Kultustreue mediieren. Auf diese Weise verwandeln sich das Wort und die Intelligenz in eine Bremse auf dem Weg zu den unendlichen ontologischen Ansprüchen der Erkenntnis. Hegel bemerkt treffend, dass man in die Gotteswelt nicht durch die Erkenntnis, sondern nur durch den Tod übergehen kann, weil die Erkenntnis mehr Fluch statt Wert, Nutzen, Selbstbewusstsein oder Existenz ist. Der dogmatisch-ontologische Monismus der Intelligenz, der die Seinseinheit als Gotteswort darstellt, gibt die Erkenntnis und insbesondere die konstitutive philosophische Erkenntnis preis. Das Denken macht der Offenbarung und der Mystik Platz. Das Licht schließt das konstitutive Denken aus. Das Licht heisst Dunkelheit für die reine philosophische Erkenntnis, wenn sie nach der rationalen Einigkeit der beiden Welten - der göttlichen und der menschlichen - strebt.

Der Übergang vom dogmatischen Monismus des Mittelalters zum rationalen und kritischen Monismus der Neuzeit ist die erkenntnismetaphysische Geburt und der systematisch ontologische Ausbau des Geistes. Der eigentliche erkenntnismetaphysische, d.h. interne Bruch, der vom rationalen Standpunkt aus die ontologischen Grundintentionen der Neuzeit in sich trägt, ist das Durchsetzen der Vernunft als die neue Form der metaphysischen (metaphysisch-konstitutiven) Erkenntnissynthese. Sie realisiert die schon in der antiken Philosophie enthüllte Kraft und Dynamik des Logos.

Francis Bacon ist der erste, der die antischolastische Wende in der Philosophie leistet. Sein Hauptziel ist die Intelligenz von ihren Idolen zu befreien, damit sie die richtigen Mittel zu einer korrekten Deutung der Natur finden kann. Streng genommen ist Descartes der richtige Erneuerer der produktiven Erkenntnismetaphysik. Er entwickelt die Idee der Vernunft nicht als ein intelligenzgebundenes Vermögen des Menschen, sondern als ein Grund, der den Sinn des Seins unmittelbar ausbildet. Das Prinzip der Identität vom Denken und Sein ist die metaphysisch grundlegende Erkenntnisfundamentalität, die generative methodische Projektionen hat, welche mehrmals geübt, aber auch weiterentwickelt werden können. Für Cartesius ist die Vernunft eine Intuition, die nicht nur die Wahrheit unmittelbar erreicht, sondern auch cogitationsweise das Wesen des Seins direkt ausmacht. Leider ist Descartes nicht genug konsequent - das Denken ist meistens in der Ich-Form, die Substanzen sind zwei, die Methodologie ist hauptsächlich subjektivistisch orientiert. Trotzdem aber prinzipiert (d.h. fundamentalisiert) Cartesius das reine Denken und auf diese Weise eröffnet er erkenntnismetaphysisch die Möglichkeit für eine rationalistisch-monistische Ontologie, die später Spinoza, Leibniz, Wolff, Hegel u.v.a. systematisch erarbeiten.

Kant überwindet die wesentlichste Schwäche des rationalistischen Monismus, nämlich die unmittelbare leicht-sinnige Ontologisierung und Substantialisierung der Vernunftbestimmungen. Diese Leicht-sinnigkeit kann man zusammen mit Spinoza so verstehen: die Reihe und die Verbindung der Gedanken sind gleich der Reihe und der Verbindung der Dinge. Kant bewahrt den erkenntnismetaphysischen Status der Vernunft als das Erkenntnisvermögen für Prinzipien. Seine Auffassung der Kritik der Vernunft hat sozusagen einen vor- bzw. metametaphysischen Charakter (einigen Tagen vor der Erscheinung der erstenKritikschreibt Kant an seinen Freund Markus Herz, dass seine kritische Untersuchung eine schwierige ist, weil sie die Metaphysik der Metaphysik darstellt).

Die Kritik zwingt die reine Vernunft, die für die apriorische, notwendige und ausreichende Erkenntnis zuständig ist, ihre eigenen Grenzen theoretisch zu ermitteln. Und diese sind mit den Grenzen der Erfahrung, d.h. den Grenzen zwischen dem Apriorischen und dem Aposteriorischen gleichgesetzt. Das Wichtigste daran ist zweierlei: die Vernunft erfährt ihre eigene Illusion, wenn sie leicht-sinnig diese Grenzen unmittelbar überspringt (Kant nennt das Dialektik), und dies ist der negative Nutzen der Kritik; der positive Nutzen ist, dass diese Grenzen, bzw. die Erfahrung die Richtung und den Weg der apriorischen Erkenntnissynthese zeigen. Die Kritik verbietet den unkontrollierten Weg nach oben (im Sinne Heraklits), ermöglicht aber den konstitutiven und regulativen Weg nach unten, den Weg der transzendentalen Erkenntnissynthese zur Erfahrung. Die Kritik bereitet den Erfolg der Erkenntnissynthese auf dem Felde der Ontologisierung vor. Die Letztere kann bei Kant als eine Begründung der Erfahrung und als eine systematische Metaphysik der Natur und der Sitten verstanden werden.

Leider bleiben bei Kant das Apriori und das Aposteriori, die theoretische und die praktische Vernunft, die Freiheit und die Begreiflichkeit durch eine "unübersehbare Kluft" total gespalten und können nicht widerspruchslos mediiert werden, weil die Erfahrung nur statisch und potentiell als etwas Externes bei der Entfaltung der transzendentalen Synthese thematisiert wird. Die Erfahrung übt auf die Erkenntnissynthese keinen Einfluss aus. Die Erfahrung ist kein immanentes Element der kritischen Philosophie. Kant spricht in derKritikimmer über die mögliche Erfahrung. Trotzdem aber zeigt das eingehende Studium der drittenKritik, derReligionsschrift, derMetaphysischen Anfangsgründe der Naturwissenschaft, derMetaphysik der Sittenund anderer Schriften Kants deutlich, dass seine transzendentale Philosophie die Möglichkeit einer kritisch-monistischen Ontologie theoretisch vorbereitet. Ohne weiteres kann man behaupten, dass KantsFortschritteder Metaphysikeine solche Ontologisierung ermöglichen.

Die eigentliche Herausarbeitung einer monistischen Ontologie steht aber bevor. Die kritische Form der reinen Vernunft muss als eine effektive transzendentale Synthese auf dem Felde der realen und nicht nur möglichen Erfahrung demonstriert werden. Die transzendentale Synthese muss sich als eine Phänomenologie theoretisch vorstellen und systematisch realisieren.

 

2. Der Geist als monistisches Ontologem in der Philosophie Hegels

Kant fragt nach der Möglichkeit der systematischen Philosophie. Hegel realisiert sie. Das formale Philosophieren Kants, das auf die Erfahrung sieht, ohne sie theoretisch konkret zu berücksichtigen, also konzeptuell in die Philosophie zu inkorporieren, wird stark von Hegel kritisiert. Er beschreibt die Situation als ein "Schwimmen-Wollen, ehe man ins Wasser geht." Laut Hegel ist die Erfahrung "eben diese Bewegung genannt, worin das Unmittelbare, d.h. das Abstrakte, es sei des sinnlichen Seyns oder des nur gedachten Einfachen, sich entfremdet, und dann aus dieser Entfremdung zu sich zurückgeht, und hiermit jetzt erst in seiner Wirklichkeit und Wahrheit dargestellt, wie auch Eigenthum des Bewußtseyns ist."[5]

Hegel schätzt aber bei Kant das Durchsetzen des reinen Denkens sehr hoch ein: "Der Standpunkt der kantischen Philosophie ist, daß das Denken durch sein Raisonnement dahin kam, sich in sich selbst als absolut und konkret, als frei, Letztes zu erfassen. Es erfaßte sich als solches, daß es in sich Alles in Allem sey. Für seine Autorität ist nichts Aeußeres Autorität; alle Autorität kann nur durch das Denken gelten. […] Fassen wir das Ganze der kantischen Philosophie zusammen, so finden wir allenthalben die Idee des Denkens, die absoluter Begriff an ihr selbst ist; […] der Gedanke und das Denken waren einmal ein unüberwindliches, nicht mehr zu beseitigendes Bedürfnis geworden."[6]

Hegel tut ein neues Erkenntnisprogramm kund, welches auch auf der reinen Vernunft gründet. Sie erforscht sich aber selbst nicht analytisch von einer oder mehreren Seiten her, verbindet nicht abstrakt die Erkenntnis mit ihren Objekten, ist kein Vermögen der Natur, welches alleine steht und auf etwas wartet. Die Vernunft zeigt bei Hegel systematisch ihre eigene Genese und Entwicklung bis zu den endlichen Reifeformen auf dem Feld der Erkenntnis (das ist die Phänomenologie), auf dem Feld der Logik (das ist die Wissenschaftslehre) und auf dem Feld des Seins (das ist die Ontologie). Diese eigentümliche Seinserscheinung der reinen Vernunft geschieht in der Form und der Gestalt des Geistes. Er ist die eigentliche Quintessenz der Seinseinheit in illo tempore. Der Geist ist das monistische Ontologem der Epoche der Aufklärung. In der Tat ist er ein Resultat seiner eigenen Seinstätigkeit. Man kann ihn mit dem Samen vergleichen. Von ihm beginnt die Pflanze, aber er ist auch das Resultat des ganzen Lebens der Pflanze, erklärt Hegel. Pathetisch aber doch wissenschaftstreu schreibt er in der Phänomenologie: "Daß das Wahre nur als System wirklich, oder daß die Substanz wesentlich Subjekt ist, ist in der Vorstellung ausgedrückt, welche das Absolute als Geist ausspricht, - der erhabenste Begriff, und der der neueren Zeit und ihrer Religion angehört."[7]

Hegel setzt das rational-konstitutive Prinzip der Identität vom Denken und Sein voraus. So kristallisiert sich in der Philosophie die Einheit der Logik und der Geschichte. Diese Ontologisierung findet als eine Demonstration der Geistesgeschichte (und nicht wie früher des Gottesdaseins) statt. Das Wort wird zum Begriff. Statt der reinen Form der Vernunft (wie bei Kant) wird die Erkenntnisphänomenologie der reinen Vernunft als eine ontologische Entwicklung des Geistes aktualisiert. Das ist eine neue objektive Logik, die weitgehend die außenseitigen organonischen Funktionen der formalen Logik überschreitet. Bei Hegel stimmen die Erkenntnistheorie, die Ontologie und die Logik überein[8].

Die dreifache konzeptuelle und methodologische Identität von Gnoseologie, Ontologie und Logik bildet die höchst mögliche philosophische Stufe der europäischen rationalistischen Philosophie in deren theoretischer Kohärenz, systematischem Ganzen und realen Seinskonstitutivität aus. Diese Identität sagt keinesfalls, dass die alltägliche menschliche Erkenntnis und die menschliche Existenz identisch sind. Sie stellt die vollendete Form der immanenten Typik der logosgesetzten, -gebundenen und -bestimmten philosophischen Erkenntnis, welche in der Philosophie Hegels den Geist als ein konkretes, reflexives, subjektmäßiges und systematisches Ontologem verkörpert. Die europäische Logosphilosophie erklimmt ihren theoretischen Olymp.

In den Heidelberger und in den späteren Fassungen der Enzyklopädie der philosophischen Wissenschaftenbegreift Hegel die Philosophie als eine "Wissenschaft der Vernunft […] und zwar insofern die Vernunft ihrer selbst als alles Seyns bewußt wird."[9] Dieses Bewusstwerden, bzw. diese Ontologisierung des Seins ist der sich erkennende und in seiner Idealität entwickelnde Geist, der in seiner Freiheit kein Aggregat von endlichen Gegenständen, sondern eine lebendige Einheit der Wirklichkeit, ein Ganzes, "Organisches, Systematisches", ein subjektmäßiges unendliches Ich ist. Der Geist hat eine konkrete Natur und sie ist die des Begriffs, die der sich selbst wissenden Vernunft, die der tätigen, seinskonstitutiven Erkenntnis. Diese Philosophie ist laut Hegel Idealismus, denn mit dem "Mangel der Form [der Vernunft, des Denkens, der Erkenntnis] hängt nothwendig die Entgeistigung des Inhalts [der Philosophie] zusammen."[10] "Die Substanz des Geistes ist die Freiheit", schreibt kurz und definitiv Hegel. Aber die Substanz der Freiheit ist die Form des Denkens, weil "die Freiheit nur bis zum Denken fortgeht", merkt er treffend in der Abteilung des absoluten Geistes[11].

 

3. Der Untergang des Geistes als ein Übergang zur pluralistischen Ontologie in der nachhegelschen Philosophie

In der reinen Philosophie - der Gnoseologie, der Ontologie und der Logik - erreicht der Geist die absolute Kohärenz und Harmonie der wissenschaftlichen Systematik. Alles ist Geist, alles ist im Geist. Der Geist ist das eigentliche Subjekt der Erkenntnis und der Weltgeschichte. Der Geist schöpft den Sinn des menschlichen Lebens und der Göttlichkeit aus.

Seitens des Geistes werden gegenüber der angewandten Philosophie hohe Erwartungen gesetzt und hohe Anforderungen gestellt. Die Philosophie der Geschichte, die Philosophie des Rechts, die Philosophie der Religion brauchen nicht nur die entsprechenden Modifikationen des Geistes, um als dessen Abbilder dargestellt zu werden, sondern auch um die reine Philosophie in ihren Seins- und Sinnbestimmungen in das tatsächliche Leben hineinzuinterpretieren. Nachdem das allgemeine logische Gerüst des Geistes schon ausgebaut ist, ähnelt das Philosophieren des sozialen Lebens keinesfalls einer mechanischen Arbeit einer begrifflichen Matrize, sondern ist ein weiteres reflexives Aufwachsen des Geistes auf dem Territorium der Geschichte, des politischen Lebens, der Religion u.s.w.

In der angewandten Philosophie Hegels kann man aber einige maß- und richtunggebende Sätze treffen, die ganz im Sinne des allgemeinen Geistes korrekt und folgerichtig sind, aber doch dem "Geist" der Aufklärung widersprechen. Z.B. die Formel, dass das Vernünftige wirklich ist, aber auch - umgekehrt - das Wirkliche vernünftig ist. Dieser Satz ist total unkritisch, heute würde man sagen, restlos ideologisch. Wenn das Wirkliche vernünftig, d.h. notwendig, wahr, genügend, gerecht u.s.w. ist, dann sagt man damit, dass wir in der idealen, vollkommenen, besten Welt leben (ähnlich Leibniz). Zweitens, der Geist ist Subjekt, Zweck und Harmonie. Und der Mensch ist nur ein Mittel dieses Subjekts, dieses Zwecks und dieser Harmonie. Darf es aber so sein, dass der Mensch seine Bestimmung und seine Freiheit im Namen einer Abstraktion verliert? So wird die totale Entfremdung anerkannt und der Mensch verliert sein eigenes Wesen. Die Aufklärung hingegen hat aber andere Ideen, Vorbilder und Praktiken.

Hegel sucht nach dem Grund dieser Disharmonie, nach der Ursache dieses Skandals. Kant ist in der Philosophie auch mit einem Skandal zusammengestoßen. In der Vorrede zur zweiten Auflage derKritikschreibt er: der spekulative Philosoph "bleibt immer ausschließlich Depositär einer dem Publikum ohne dessen Wissen nützlichen Wissenschaft, nämlich der Kritik der Vernunft; denn die kann niemals populär werden, hat aber auch nicht nötig, es zu sein; […] weil, die Schule, so wie jeder sich zur Spekulation erhebende Mensch […] jene dazu verbunden ist, durch gründliche Untersuchung der Rechte der spekulativen Vernunft einmal für allemal dem Skandal vorzubeugen, das über kurz oder lang selbst dem Volke aus den Streitigkeiten aufstoßen muß, in welche sich Metaphysiker ohne Kritik unausbleiblich verwickeln, und die selbst nachher ihre Lehren verfälschen." Für Kant können die Wurzeln des Skandals - nämlich Materialismus, Fatalismus, Atheismus, Aberglauben, Schwärmerei u.s.w. - nur durch die Kritik abgeschnitten werden. Weil die Kritik dem Dogmatismus entgegengesetzt ist. Und Hegel, der mit der theoretisch errungenen Ontologemität des Geistes nicht nur die Kraft der Kritik, sondern auch die des reflexiven und tätigen Denkens in den Geist einverleibt, gerät direkt und unvermeidlich in einen Dogmatismus. Man kann leicht und schnell sagen, dass dies zu erwarten ist, weil das Prinzip der Identität vom Denken und Sein den Dogmatismus notwendig voraussetzt und unausweichlich voran treibt. Aber Hegel hat das Projekt der Phänomenologie unternommen, weil er nicht nur die Kraft der Kritik, sondern auch die Freiheit des konstitutiven Denkens ausüben wollte. Die Phänomenologie ist die gegenständliche Genese der absoluten Vernunft, die nichts Gemeinsames mit einer abstrakten Deduktion der reinen Verstandesbegriffe hat. Hegel sucht nach den Ursachen jener theoretischen Missstände und Misserfolge. Natürlich sucht er nicht unmittelbar im "Körper" des Geistes (dort kann er keine allgemeinen Widersprüche finden), sondern in der Spezifik der absoluten Vernunft.

So kommt Hegel auf die Idee der List der Vernunft: "Die Vernunft ist eben so listig als mächtig. Die List besteht überhaupt in der vermittelnden Thätigkeit, welch, indem sie die Objekte ihrer eigenen Natur gemäß auf einander einwirken und sich an einander abarbeiten läßt, ohne sich unmittelbar in diesen Proceß einzumischen, gleichwohl nur ihren Zweck zur Ausführung bringt."[12] Die List ist die eigentliche Spezifik der Spekulation und letzen Endes auch der absoluten Vernunft. In der fundamentalen Philosophie ist die List heuristisch und produktiv. In der angewandten Philosophie wird sie zu Gewalt.

Die Aufdeckung der List der Vernunft zeigt die ersten dunklen Flecken auf dem Gesicht des Geistes genau während der Zeit seines Zenits. Das ist der Zenit der Logosphilosophie. Die Aufdeckung der List der Vernunft verletzt den 25 Jahrhunderte langen Vormarsch des Logos als reines, absolutes und konstitutives Denken, d.h. als ontologieformierende Kraft und Substanz. Entweder ist die Ontologie obsolet und überflüssig geworden oder sie muss neue Wege zu ihrem Aufbau finden.

Als die absolute und konstitutive Vernunft ihre eigene List erfährt, kommt sofort die Alternative der ontologisierenden Vernunft zum Vorschein. Schopenhauer entwickelt den absoluten Willen und so bekommt die Ontologie eine zweite Quelle. Seitdem kann die Ontologie niemals mehr monolithisch, kohärent und gesund sein.

Der immanente, d.h. im Bereich der reinen Philosophie fortlaufende Untergang des monistischen Geistes bestimmt nach Hegels Tod die Epoche der Dekadenz. Die absolute Vernunft geht allmählich aber notwendig zugrunde. Von innen her wird die monologische Rationalität gesprengt. Deshalb löst sich die monistische Ontologie auf. In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts erlebt Europa eine Dekadenzperiode, die alle Geistes- und Sozialbereiche umfasst. Der Grund dafür ist der Zerfall der absoluten monologisch-konstitutiven Vernunft.

Allgemein betrachtet sind es hauptsächlich drei Philosopheme, die diesen Weg am deutlichsten zum Ausdruck bringen. Zum ersten kommt (natürlich) Nietzsches Initiation "Gott ist tot". Ohne Gott gibt es keine Seinsgenese, keine Welteinheit, keine Moral, keinen geistigen Monismus. Nietzsches Philosophie zeigt die endgültige Scheide zwischen der vorigen und der heutigen Zeit. Hier zählen der Nihilismus, "der aristokratische Radikalismus" (Brandes), die Umwertung aller Werte, die Religions- und Moralkritik, die Hammerphilosophie, die Lebensphilosophie, der Kulturbegriff, der Übermensch, die neue Moral, die Urschönheit, der spezifische Humanismus Nietzsches.

An zweiter Stelle muss man Freuds Psychoanalyse erwähnen. Eigentlich ist sie keine Philosophie, hat aber eine grundlegende, spezifisch philosophische Wirkung erarbeitet - nämlich die Zerlegung der Ich-Identität (am deutlichsten ist sie von Fichte ausgebaut) als eine einheitliche Seinsbasis der menschlichen Existenz in der Welt. Nach Freud ist das Ich nicht hinreichend als Fundament für eine konsequente Darstellung des Geisteslebens des Menschen. Und zusätzlich ist die Selbstreferenz des Ichs keine Gleichheit und Harmonie. Sie zeigt zwangsläufige Abweichungen und sogar Pathologie. So erfährt die Vernunft gleichzeitig zwei Verluste: erstens, sie ist nicht mehr eine selbständige metaphysische Struktur, die tadellos die Ontologie konstituiert; zweitens, als Menschenvermögen hat die Vernunft bei der Bestimmung des Menschenverhaltens keine Priorität mehr. Freuds triadisches Modell Es-Ich-Überich setzt eine neue pluralistische Konstitution des geistigen Menschseins.

An dritter Stelle steht Leonard Nelsons Erhebung des Sokratischen Dialogs als eine der gegenwärtigen Zeit konsequent angemessene Methode für die Wahrheitsforschung. Die Herrschaft des Begriffs, des Monologs, der langen Erzählung und des notwendigen Systems ist abgeschafft. Zum Teil hat der seit Montaigne, Schopenhauer, Kierkegaard, Nietzsche und Lichtenberg bekannte Aphorismus das schon geleistet, ohne aber richtig nach der Wahrheit zu fragen. Genau wie der Aphorismus zerstört der Dialog die logisch strenge rationale Form des monistischen Philosophierens, bewahrt aber die typisch philosophischen Heuristiken in Bezug auf die Konstruktivität. Der Dia-log hat auch eine Logik, die aber nicht mono-logisch ist. Er ist keine Destruktion, sondern laut Nelson eine gut und präzise erarbeitete regressive Methode der Abstraktion, damit man frei nach der Wahrheit suchen kann.

Neben diesen drei Hauptmodi der immanenten Zerlegung des rational-monistischen Geistes kann man in dieser Richtung noch viele weitere philosophische Tatsachen aufzählen: Kierkegaards Absurdismus und Paradoxismus, die die menschliche Existenz beschreiben, ohne es mehr nötig zu haben, den schlechten Widerspruch irgendwie zu überwinden; Marx Enthüllung der realen Entfremdung und Marx theoretischer Aufbau einer pluralistischen Sozialontologie; Dostojewskijs Projekt des Menschengottes und sein notwendiges Scheitern; Langes, Machs und Avenarius Positivismus; Husserls Krise der europäischen Wissenschaften u.s.w. So verliert die absolute Vernunft nicht nur ihre Priorität, die einzige Quelle der Wahrheit auszumachen (das hat schon Kant aufgehoben), sondern auch ihre Grundrolle, eine Quelle der monistischen Ontologisierung zu sein. Der Geist kann nicht weiter ein einheitliches Ontologem der Gottes- und Lebenswelt sein. Rein philosophisch hat er sich diskreditiert, sofern er nicht weiter die ontologische Einheit kohärent instand- und inganghalten kann. Die rationale Grundursache davon ist der innerliche Abbau der absoluten Vernunft. Die phänomenale Ursache davon ist die bewegte Entwicklung der Weltgeschichte.

 

4. Der Geist im gegenwärtigen pluralistischen Ontologem der Kultur

Welches ist heute das ontologische Schicksal des Geistes nach der totalen Dekadenz des Erkenntnis- und Seinsmonismus, nach dem Krach der absoluten Vernunft und der Ontologie des Einen? Die einfache Antwort ist folgende: der Geist hat dasselbe Schicksal wie die Seele und die Intelligenz, wie die anderen Ontologeme der vergangenen Epochen Europas.

Die Frage nach der philosophischen Auffassung, bzw. der konstitutiven Erkenntnisbegründung der heutigen sozialen Faktizität auf dem Wege der Theoretisierung einer pluralistischen Ontologie hebt zunächst die Kritik als neue Form der aufbauenden Rationalität heraus. Kant ist der erste, der das Erkenntnispotential der Kritik aufzeigt, leider ohne ihr Ontologisierungspotential zu verwerten. Nach Kant haben sich viele Philosophen auf die Kritik gestützt. Hier möchte ich mich in diesen vielstimmigen Chor einreihen, aber mit dem Anspruch auf eine folgenreiche theoretische Ausnutzung der transzendental-ontologischen Leistungsfähigkeit der Kritik.

Die Grundfrage in diesem Punkt ist nach der rational-produktiven, d.h. ontologisierenden Innovatiionskraft der Kritik. Sie hat ihre von Kant gezeigte transzendental-synthetische Funktion, überspringt aber den ihr von Kant zugemessenen vorhöfischen und propädeutischen Status. Als eine transzendentale und reflexive Synthese ist die Kritik die eigentliche apriorische Form der gegenwärtigen Erkenntnisphilosophie.

Das Problem kann man so formulieren: wie ist heute die rationale Ontologisierung nicht nur möglich, sondern auch real? Wie findet sie statt? Die kritische Ontologisierung wechselt ihre von Kant gelegte Laufbahn, wechselt, wie Heidegger sagen würde, die Leitfrage (doch nicht die Grundfrage). Das Philosophieren entspringt aus der reinen metaphysischen Erkenntnisform (so auch Kant), es hebt aber nicht mit der menschlichen Erfahrung gegenüber der Natur, auch nicht mit dem bloßen Dasein (so Heidegger), sondern mit der moralischen Existenz des Menschen an. Es handelt sich um ein eigenartiges Zusammenbauen der Kantischen und Hegelschen philosophischen Programme in Bezug auf eine neue Seinsauffassung. Der Knotenpunkt ist die moralische Existenz, die inhaltsreich und nicht abstrakt-geschichtlich, nicht bloß an sich ist. Kant setzt auf die transzendentalisierende Erkenntnistätigkeit, es gelingt ihm aber keine Ontologisierung. Die tätige Vernunft schafft unübersehbare Klüfte in der Ontologie. Hegel baut eine vollendete dynamische Ontologie auf, die aber im Voraus erkenntnismäßig dogmatisiert und beschränkt ist.

Der kritisch-rationalisierende konstitutive Vorgang, der auf die geschichtlichen Ontologeme zielt, indem er das Mannigfaltige der vorhandenen Erfahrungsterritorien mittels der aufbauenden transzendentalen Synthese kategorisch philosophiert, erweist die Kultur als das pluralistische Ontologem des gegenwärtigen gesellschaftlichen Seins.

Der Begriff der Kultur hat in der Philosophie eine lange Geschichte. Hier muss man zunächst diecultura animi, die Verwandtschaft mit demcultus, die Opposition mit dernaturaerwähnen. Die Kultur war also am Anfang eine Tätigkeit und erst später wurde sie zum Wesen, Wert, Sinn und Sein. Die wichtigsten Namen bei dieser konzeptuellen Entwicklung sind Samuel Pufendorf, Rousseau, Herder, die Freiburger Kantianer u.v.a. Immer war die Kultur irgendwie im Plural, aber erst nach dem Untergang des monistischen Geistes konnte sie sich ontologemisch durchsetzen. So prägt sie den Verlust der Seinseinheit, der totalen rationalen Kontrolle, der einheitlichen Normen, Ansätze, Wertungen, Deskriptionen, Einsichten. Es kommt eine globale kulturelle Relativierung, die nicht nur das allgemeine Sein und die Geschichte, sondern auch die Physik erobert (Einstein).

Zwei Momente sind bei dieser ontologischen Pluralisierung schwerwiegend: Erstens, der Dia-log als ein Explikat der Erkenntniskraft der Kritik verbietet philosophisch jeden Seinsdogmatismus. Zweitens (und eng mit dem oberen verbunden) ist die kritische, d.h. die pluralistisch-relevante Transformation des Diskurses zu vermerken. Seine, dem Mono-logos entsprechende Geschichte in der mittelalterlichen und neuzeitlichen Philosophie, erfährt ein Ende. In der heutigen Philosophie heisst der Diskurs sowohl Dialog, Logik, Methode und Sprache, als auch Existenz und pluralistisches, kulturales Dasein.

Die Kultur relativiert, nivelliert und entkernt die geistigen Werte. Sie duldet keine Monaden, Einheiten, Absolutismen. Die ontologische Sublimation des Einen verwandelt sich in eine kulturale Verwahrlosung des Seins. Die Kultur sorgt aber für die Minderheiten. Jeder Verlust jeder einzigen Minderheit ist für sie ein Seinsverlust ihrer selbst. Die beständige Partialität, der soziale Atomismus und nicht die grundlegende einzige Substanz ist das Seinsmodell der Kultur.

Die heutige post-moderne Philosophie drückt diese Situation deutlich aus. Der Personalismus und der Existenzialismus gehen in eine postmoderne Situation über, wo alle "-ismen" sinnlos und deswegen verboten sind. Die Postmoderne hat aber keinen eigenen Namen[13].

Das kulturale Benennen (eigentlich Ontologisieren), bzw. das pluralistische Dimensionieren der heutigen Kultursituation ist das Großgefühl der sich selbst durchsetzenden Individualität und Partialität. Sie weigert sich nach einer innerlichen Einheit zu suchen, weil die Letztere schon paradoxalisiert und in den Gewittern des Nihilismus verschwunden ist, weil der synoptierende Logos sich zugleich in eine listige Vernunft verwandelt hat. So zerstört die Individualität sich selbst, weil sie sich nicht monadologisieren kann. Der einzige Ausgang ist die kulturale, von außen bestimmte und nach außen drängende Relativierung, die sich existentiell in einer Menge von Diskursen ausprägt.

Die Kultur amorphisiert sich, weil ihre eigene Natur eine unbestimmte und unbeständige ist. Sie ist ein geschichtliches Vorhandensein, bei dem die Rationalität ihre führende ontologisch-konstitutive Rolle grundsätzlich verloren hat. Die Kultur wird allmählich eine Diskursresonanz. Sie präsentiert ein Status quo von größeren und kleineren Gesellschaften, in denen der Mensch auf eine alienierte Weise seine eigene Natur projiziert, indem er sie in das bestimmte "Kleid" der entsprechenden Gesellschaft kleidet. So festigt sich der liberale politische Diskurs, der nach der Zusammenarbeit und dem Konsensus und nicht nach der Wahrheit und der Gerechtigkeit sucht. Die Zeit verliert ihren diachronischen Wert, die Geschichte schafft kein Sein mehr. Ihre synchronische Dimensionierung ist die Menschenfreiheit als Gruppenidentität. In Form einer hypertrophierten Gestalt des Anderen, der Gesellschaft und des Todes gewinnt das Transzendente immer mehr Platz.

Die pluralistische Ontologemität der Kultur verallgemeinert die vermittelnden Mechanismen zu einem ontologischen Topos, der die zersplitterten Individualitäten in sich selbst zusammenfasst. Sie haben keine eigene Monadität, keine wesensmäßige Summe, keine soziale Substanz. Ob das zu einer neuen Utopie führt oder sich auf eine neue Mythosgenese oder eine neue Ideologie beruft oder bloß eine freie Gesellschaft ist, die nach einer "neuen Freiheit" sucht, ist ein Thema des heutigen politischen Diskurses. Er muss sich des Anderen (der Transzendenz) erbarmen, ihm ein menschliches Gesicht geben und ihn zwingen sich selbst als ein Gehäuse des unterkunfts- und verwahrlosten Menschen zu transponieren. Früher war die Politik ein unvermeidliches Übel. Heute ist sie das eigene Dasein des Menschen in seinem Anderssein. Nach dieser Rolle der Politik streben auch der Fußball, der Sport überhaupt, die Firma, das Fernsehen, die Sexualität, die Drogen, die Nation usw. Sie sind kulturale Masken, die aber keinen Karnevalcharakter haben und nicht nach Wunsch abgenommen werden können. Eher sind die mit ihnen bedeckten Gesichter ohne eigenes Ansehen. Von der Freiheit ist nur das Abzeichen oder das Hemd mit dem Aufdruck der Freiheit geblieben. Von Angst, Schmerz und Krankheit verwandelt sich die Entfremdung in einen bequemen und gemütlichen existentiellen Diskurs.

In dieser kulturausgeprägten pluralistischen Situation muss die Kritik als eine philosophische Erkenntnisform nach ihrem Sektor bei der Ontologisierung suchen. Die eigentliche europäische Logosphilosophie muss sich nicht nur als eine Tradition, sondern auch als eine lebendige Kraft in der gegenwärtigen Kultur aktiver und unternehmender einmischen. Kaum gibt es einen Philosophen - sogar unter den postmodernen - der in seinem Diskurs nicht auf einen Erkenntnisweg eingeht. Es gibt kaum ein Mitglied der "diskursiven Gesellschaft", das die heutige "postmoderne Situation" außerhalb der Erkenntnis analysiert. Kaum gibt es einen nach sich selbst und nach der Welt fragenden Menschen, der nicht Acht auf die Erkenntnis gibt. Kaum kann man heute mit dem Geistesleben ohne das reine Denken umgehen. N. Rescher analysiert die Lebenskraft der verschiedenen Typen des Idealismus und bejaht die Vorzüge des Begriffsidealismus als eine notwendige Konzeptualität für die Argumentation der Interpretationsschemata der Naturforschung.

Das ist eine philosophische Rehabilitation der Erkenntnis. Die Fundamentalisierung der Erkenntnis ist immer ein Idealismus! Das ist eine Rückkehr der intellektuellen und existentiellen Freude an den erkenntnismetaphysischen Wegen-der-Form und Für-die-Erfahrung in deren nicht nur apriorischen Topik, sondern auch transzendentalen Mediativität und ontologischen Konstitutivität. Die synthetische Kraft des reinen Denkens, die nicht nur nach der Wahrheit sucht, sondern auch das Menschendasein zwischen der Transzendenz, dem Anderssein und der Autentität erforscht, findet wieder ihre konstitutive Wirksamkeit.

Bei dieser Theoretisierung haben die Seele, die Intelligenz und der Geist keinen ontologemen Status im Paradigma der Kultur. Sie verlieren aber nicht ihren in der Geschichte formierten Sinn. Sie sind auch heute geistig vorhanden, haben aber in der Subjekttätigkeit des Menschen und der Gesellschaft eine Bedeutung nur als Elemente des Daseins der Kultur. Die Seele ist eine hauptsächlich poetische Dimension der Person; die Intelligenz präsentiert die Vernünftigkeit inkl. ihr computerisiertes Modell in Form der künstlichen Intelligenz; der Geist, als historisch der Kultur am nahesten stehender, bewahrt die meisten seiner globalen und kosmopolitischen Bestimmungen auf. In jedem Einzelfall übt die Kultur ihren Seinseinfluss aus und so relativiert sie die Seele, die Intelligenz und den Geist in ihrer eigenen Seinsstruktur. Das bedeutet keine ontologische Nihilisierung der Seele, der Intelligenz und des Geistes, obwohl sie sozusagen vom Seinsthron schon gefallen sind, sondern ihre kulturmäßige Umwertung und neue Einordnung in die ontologischen Felder der Gegenwart. Hier geht es aber um keinen Kulturzentrismus, weil die Kultur immer im Plural ist. Sie impliziert Koexistenz, Dialog, Standhaftigkeit, Stabilität, Toleranz, aber auch einen agonalen Charakter.

Die Kultur hat ihren Zenit noch nicht erreicht. Die Epoche hat ihren Namen noch nicht gefunden. Die vielen "post-", "neo-", "anti-", ana-", "hyper-" u.s.w. zeigen die Prozesse des Reifens des heutigen Zeitalters. Es sucht eifrig nach dem Typ seiner eigenen Identität.

 

Schlusswort

Der Geist ist heute Sentiment, Ekstase, Romantik, Anachronismus, Ideologie. Er hat kein existentielles Sein im Sinne einer causa sui, eines allgemeinen Subjekts, eines homogenen Ganzen. Er ist auch kein fundamental-ontologisches Reales. Noch weniger kann er einen ontologemen Charakter für das gesellschaftliche Sein haben.

Wer aber in seiner Genese den Geist nicht hat, ist ein existentielles Waisenkind; wer seine Gegenwart in den Geist legt, begräbt seine Zukunft. Die heutige Welt ist nicht die des monistischen, optimistischen, sich selbst unendlich entwickelnden Geistes. Nein, sie ist kulturell pluralistisch, gleichzeitig und gleichermaßen optimistisch und pessimistisch, emporsteigend und dekadent. Darin ist der Geist notwendig seinspräsent. Inwieweit und wie - das entscheidet heute jede sich selbst angezeigte Philosophie.

Eines steht aber fest: der Geist des Geistes ist das ontologisierende Denken, die systematisch konstruktive und konstitutive Erkenntnis. So ist der Geist des Geistes ein seinsaufbauender intellektueller Systematismus. Und es ist höchste Zeit den Trend der heutigen Philosophie, der Freud-Heidegger-Wittgenstein-Lyotardschen psycho- existentiell-sprach-postmodernen Analytik zu einem heuristischen erkenntnisfundierten Synthetismus, zu einer kreativen Synthese des Denkens umzudrehen.

Hegel würde sich freuen.[14]



[1] G. W. F. HEGEL, Vorlesungen über die Geschichte der Philosophie, in: Sämtliche Werke. Jubiläumsausgabe in zwanzig Bänden, hrsg. v. H. Glockner, Stuttgart, 1940, Bd. 17, S. 344.

[2] G. W. F. HEGEL,System der Philosophie. Dritter Teil. Die Philosophie des Geistes, a.a.O., 1929, Bd. 10, S. 35, 446.

[3] G.W.F.HEGEL,Vorlesungen über die Geschichte der Philosophie, a.a.O., 1941, Bd. 19, S. 25.

[4]Die Bibel, 1 Kor. 2:6-7; Joh. 8:25; 14:26; 1 Joh. 5:7; Röm. 8:26, 10:17; 1 Kor. 15:46-47; 12:3-6.

[5] G. W. F. HEGEL,Phänomenologie des Geistes, a.a.O., 1932, Bd. 2, S. 36 f.

[6] G. W. F. HEGEL,Vorlesungen über die Geschichte der Philosophie, a.a.O., 1941, Bd. 19, S. 552, 609, 611.

[7] G. W. F. HEGEL,Phänomenologie des Geistes, a.a.O., 1932, Bd. 2, S. 27.

[8] "[…] die logische Wissenschaft, welche die eigentliche Metaphysik oder reine spekulative Philosophie ausmacht […]" G. W. F. HEGEL,Wissenschaft der Logik. Erster Teil. Die objektive Logik, a.a.O., 1936, Bd. 4, S. 16.

[9] G. W. F. HEGEL,Enzyklopädie der philosophischen Wissenschaften im Grundrisse, a.a.O., 1938, Bd. 6, S. 22.

[10] G. W. F. HEGEL,System der Philosophie. Dritter Teil. Die Philosophie des Geistes, a.a.O., 1929, Bd. 10, S. 13.

[11] Vgl. G. W. F. HEGEL,System der Philosophie. Dritter Teil. Die Philosophie des Geistes, a.a.O., 1929, Bd. 10, S. 31, 449.

[12] G. W. F. HEGEL,System der Philosophie. Erster Teil. Die Logik, a.a.O., 1940, Bd. 8, S. 420. Das Erkennen als List ist schon in derPhänomenologie aufgedeckt - vgl. G. W. F. HEGEL,Phänomenologie des Geistes, a.a.O., 1932, Bd. 2, S. 68, 52.

[13] Dieses "post" ist einem "meta" (verbunden mit dem Namen von Andronikos von Rhodos) ähnlich, aber auf Latein gesagt. Warum nicht auf Griechisch, warum nicht in einer Sprache? Und was würde dann Metamoderne heissen? Kann es sein, dass im Vergleich mit der sinnreichen Metaphysik die Metamoderne ein leeres, inhaltsloses und unnötiges Wort sein würde? Oder ist diesesmeta (der Metamoderne) ein einfachesnach oderhinterher, welches kein eigenes Gesicht hat?

Die altgriechische Sprache kennt das Wortmoda. Es bedeutet Fussbodenbelag. Als Terminus kommt es in den Texen der altgriechischen Philosophen nicht vor, ist aber in Hezihios Lexikon (vom V Jahrhundert; 1536.1) im Sinne vonstromata(vgl. Clemens von Alexandria) erwähnt. (Trotzdem muss man aber sagen, dass, wenn es um Mode und Moderne geht, verweisst die heutige Lexikographie auf das frühlateinische Wortmodusund das spätlateinische Wortmodernus).

[14] Plenarvortrag am XXVII Internationalen Hegel-Kongress in Leuven 2008; in: Hegel-Jahrbuch, 2010 (im Druck).

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